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Die Zeit mit Steve Jobs: Voller Beschränkungen und geschlossener Türen
Kennt ihr das noch? Die Zeit in der iOS ein nahezu unüberwindbares Mauerwerk war, in dem keine Widgets zugelassen wurden? Ihr konntet noch nicht einmal eine alternative Tastatur wählen… Man, ich erinnere mich noch genauso gut daran, als wäre es gestern gewesen. Halt, stopp… Das war gestern! Oder besser gesagt, am 2. Juni, also vor gut drei Tagen, als Apple iOS 8 der Weltöffentlichkeit präsentierte. Man, wie die Zeit vergeht. Und was Apple bis dahin alles gemacht hat, auch ohne seinen Gründer, philosophischen Vater und “Diktator” Steve Jobs. Der Tenor war damals eindeutig und klar: Nichts kommt rein, ausser über den App Store natürlich und nichts darf wirklich raus. Das geschlossene Ökosystem von Apple ist das derzeit wohl unkomplizierteste seiner Zeit, allerdings fühlen sich viele Gegner des appleschen Verfahrens in eine Zwangsjacke gesteckt. Befürworter des Systems lieben die Einfachheit, Unkompliziertheit und das “Es läuft einfach”-Gefühl, ohne viel machen zu müssen.
Die Nachteile der reinen Unflexibilität, das System nicht bis auf den Kern auseinander zu nehmen, es nicht den optischen individuellen Aspekten anpassen zu können, ist eines der markantesten Gegenargumente vieler Gegner. Doch brachte es auch einige Vorteile: Neben der schieren Performance und den qualitativ sehr hochwertigen Apps kann iOS auch mit Sicherheit punkten. Allein die internen Sicherheitsbestimmungen, wie sich Apps untereinander verständigen können, sind strikt geregelt. Im gesamten Bild zusammengefasst, ist das Ökosystem von Apple das Reich des Steve Jobs, das sich abschottet und einbunkert, in seiner eigenen Welt bewegt und nichts und niemanden in Form von Software rein oder raus lässt, jedenfalls nichts was Apple nicht vorher abgesegnet hat. Ein Kompromiss, dem man sich ausgeliefert fühlt und eingehen muss, um die Vorteile des Systems geniessen zu können.
Türen bleiben zu, aber Fenster gehen auf! Der Blick auf die Apple Welt ohne Jobs.
iOS 8 ist ein Paradebeispiel dafür, was Apple derzeit anstrebt. Ein völliger Umbruch des Unternehmens und das nicht nur intern (viele wechselnde Positionen in den jeweiligen Verantwortungsbereichen der letzten Jahre), sondern auch, was man der Kundschaft in Zukunft bieten will. Plötzlich werden Widgets eingeführt, Touch ID Sensor wird geöffnet, Dritthersteller-Apps kriegen Zugriff aufs System (Tastaturen) und Apple selber entwickelt API-Frameworks, um diese Ärzten und Herstellern von Automatisierungs-Techniken zur Verfügung zu stellen. Was geht denn hier ab?! Zwar ist iOS 8 noch lange nicht der Inbegriff für Quelloffenheit, aber Apple ging auf der WWDC 2014 mit einem Paukenschlag einen ersten Schritt nach vorne, den bisher niemand für möglich hielt. Ich denke, wir sehen hier nur die Spitze des Eisberges.
Man muss sich das bei iOS 8 in etwa so vorstellen, dass zwar noch lange keine Türen aufgemacht, allerdings Fenster zum Rausgucken geöffnet wurden. Die APIs für Widgets, Touch ID, Apps, die untereinander nun stärker Kommunizieren dürfen und die HealthKit sowie HomeKit Frameworks sind erste offene Bereiche, die es vorher nie zu sehen gab, geschweige denn einer darüber nachdachte. In der Form hat Cook mit seinem Satz während der Keynote recht behalten: Es sind die grössten Änderungen in der Geschichte des App Stores, vor allem eine philosophische, denn sie widerspricht dem väterlichen Geiste von Steve Jobs und öffnet zwar nicht alle, aber ein paar Knöpfe der Zwangsjacke.
Versteht mich bitte nicht falsch… iOS wird wohl niemals das offenste System auf dem Markt werden. Definitiv nicht! Allerdings werden weitere APIs folgen, die den Zugriff auf das System zulassen und mit denen die vielen Hersteller und App-Developer arbeiten können. Apple wird weitere Fenster öffnen, aber das Tor seiner Festung geschlossen halten, um weiterhin den Komfort seines Ökosystems aufrecht zu erhalten.
Steve Jobs: “3.5 Zoll sind perfekt für den Kunden. Grössere Displays sind albern”
Es ist beinahe wahnwitzig! Steve hielt die Grösse des kleinen 3.5 Zoll Displays, welche sich bis zum iPhone 4S hartnäckig hielt, für perfekt. Doch selbst er knickte ein und entwarf zusammen mit seinen Entwicklern das bisher im iPhone 5, iPhone 5c und iPhone 5s eingesetzte 4 Zoll Display. Das iPad Mini ist ebenfalls ein Schritt gegen Jobs gewesen, denn dieser war der Ansicht, dass 7 oder 8 Zoll Tablets eine “Dead on Arrival”-Kategorie wären. Das iPad Mini von Apple entpuppte sich aber als Killer-Device und ist eine der grösseren Erfolgsstories des Unternehmens. Nun steht Apple durch Tim Cook kurz davor, iPhones mit deutlich mehr als 4 Zoll auf den Markt zu bringen und die Menge wartet sehnsüchtig auf das Ergebnis. Es sind nun sogar “Jobs-verachtende” 5.5 Zoll im Gespräch. Versucht man, mit Gewalt die Jobs-Philosophie vom Rest zu trennen?
Tim Cook ist einer dieser Motoren von vielen gewesen, die diese Dinge wie das kommende iPhone und die öffnenden Massnahmen von iOS 8 einleiteten. Gerade Cook, der von Jobs frenetisch als Nachfolger gewünscht und vorbereitet wurde, nun auf dem Thron sitzt und nahezu für all diese “Anti-Jobs-Änderungen” verantwortlich ist. Auch die Art vom neuen Apple CEO, sich mit Patentstreitigkeiten auseinanderzusetzen ist bemerkenswert: Einigungen mit Motorola und Google sind bereits geschlossen und lange zu den Akten gelegt. Selbst mit Samsung setzte er sich sofort an einen Tisch, wobei hier der Erfolg über eine Einigung bisher ausblieb, was wohl durch tiefere Wunden beider Konzerne zu erklären ist. Tim Cook ist Jobs in vielen Dingen ähnlich, vor allem was die Liebe zu Apple betrifft sind beide vom selben Schlag. Er lebt es mit der gleichen Hingabe und hat ein ähnliches Gespür für Geräte wie einst der Apple Gründer, was vor allem das iPad Mini unter Beweis stellte. Er geht die Dinge aber anders an. Erfrischend anders. Dieser Cook öffnet nun auch noch iOS für Widgets und diverse APIs wie HealthKit und HomeKit, wie es oben bereits erwähnt wurde. Schwindet der Geist von Jobs nun aus den Auditoriumshallen, Konferenzräumen und Büros von Apple?
Jobs arbeitete viele Jahre lang mit Cook zusammen und bildete ihn quasi als Nachfolger des Unternehmens aus. Eigentlich muss Steve doch gewusst haben, dass Cook in vielen Dingen so viel anders denkt als er? Zudem wurde die Design-Ikone Jonathan Ive immer als grösster Nachfolger gehandelt, wurde aber nur Chef der Sparte für iOS und Design. Ich bin der Auffassung, dass Jobs definitiv wusste, was passieren würde. Er wählte mit Tim Cook zwar einen anderen Leadertyp, doch einen Menschen, der mit der gleichen Hingabe arbeitet und das Unternehmen so sehr liebt, wie er selber es tat und das war es einfach, worauf es ankam. Tim geht mit diesen Eigenschaften nun den Weg der Veränderung und an iOS 8 merkt man mittlerweile nur zu gut, wohin dieser Weg nun wirklich führt, denn er hört im Gegensatz zu Steve der Kundschaft zu. Ein tolles Beispiel war der Satz von Jobs zum Antenna-Gate-Problem des iPhone 4 “You’re holding it wrong”. Ein Satz, der auch nur von Steve Jobs kommen konnte und die Arroganz des Unternehmens wiederspiegelt, die wir kennen. Ein Satz, der mit dem Apple Gründer allerdings nun auch der Vergangenheit angehören sollte und wird.
Image-Frage an Apple: Ära nach Jobs
Die Arroganz wird bleiben, keine Frage. Eine Arroganz, die mittlerweile jeder Hersteller angenommen hat, sobald er die Bühne seiner eigenen Keynotes betritt. Eine Arroganz, die alle Hersteller haben müssen, sofern es um ihre eigenen Geräte geht. Es gibt de facto keine Keynote mehr, in der nicht irgendwelche Seitenhiebe fliegen. Man muss nämlich fest hinter dem Produkt stehen, wenn man es verkaufen will. Es ist die oberste Regel im Verkauf und wird von Apple nicht nur perfekt ausgeführt, sondern mit Inbrunst gelebt. Allerdings merkt man Apple mit jeder neuen Keynote an, dass die Arroganz zwar keineswegs weicht, sich allerdings verändert. Es ist keine Jobs-Arroganz mehr, sondern eine Cook-Arroganz. Vielleicht sogar eine deutlich gesündere Art davon. Das merkt man vor allem daran, dass seit Jahren das Wort “Innovation” in den Präsentationen vielleicht nur noch ein- bis zweimal insgesamt überhaupt gefallen ist. Apple hatte seine Innovationen schon vor langer Zeit und entwickelt diese nur noch weiter. Der Tenor lautet eher “Wir sind Apple, weil wir Apple sind!” und nicht mehr “Wir sind Apple, weil wir den Markt damals umgekrempelt haben!”
Das die generelle Mentalität sich nun anders entwickelt spürt man vor allem in den Auftritten der unterschiedlichen Leute. Craig Federighi ist der neue Mann für die Unterhaltung und das neue Bühnengesicht von Apple. Er witzelt mit den Journalisten und improvisiert herrliche Gags, ein wahres Talent im Showbiz. Aber ebenso auch in der Softwareentwicklung, denn er ist der Chefentwickler hinter iOS und Mac OS X. Er bringt frischen Wind für Apple auf die Bühne, vor allem auf der menschlichen Seite, denn die Zuhörer kleben ihm – genau wie bei damals bei Steve Jobs – an den Lippen. Aber nicht nur er ist einer derjenigen, die aufblühen. Die anderen Vorträge ändern ebenfalls ihren Rhythmus und die Ambitionen werden lockerer. Apple spielte vor der Keynote von iOS 7 im letzten Jahr das Lied “It’s time” mit der Textzeile: “I’m never changing who I am” von Imagine Dragons. Generell halte ich die Aussage für glaubwürdig, doch ist dieser Satz gleichermassen sowohl falsch, als auch richtig. Apple hat sich in Leidenschaft und Hingabe mit dem, was sie machen, absolut nicht verändert und wir hoffen alle, dass sie das auch nicht tun. Allerdings hat sich der Konzern durch die Führung von Cook in seiner Mentalität verändert und ich denke, es ist gut so. Es treibt Apple voran und zwar auf einen Weg der richtig zu sein scheint. Tim Cook und sein Team “will never change who they are”.
Damit schliessen wir dieses Kapitel vorerst und warten nun geduldig und vor allem auch gespannt auf die neuen iPhone Modelle, die endlich auch mal ein grösseres Display versprechen, nach denen die Smartphone-Fans schon länger fragen. Es wird mit der Veröffentlichung ein Ruck durch Apple gehen und die Verkaufszahlen werden noch einmal deutlich anziehen und wie jedes Jahr wird auch dieses Mal ein neuer Rekord zu verzeichnen sein. Apple bleibt Apple, so viel steht fest. Allerdings nach dem Prinzip von Tim Cook. Einem Prinzip, dem man generell positiv entgegen sehen kann. Menschen verändern sich und die Technik ebenso, daher ist es nicht verkehrt, wenn Altes erst einmal abgestreift wird. Ein neues Apple mit derselben Liebe und Leidenschaft zu dem, was sie immer taten, weiss durchaus zu gefallen.
Quelle Video: The Verge (Englisch)