Mo. 20. Mai 2024 um 10:32

Review: 1000xRESIST für Nintendo Switch im Test

von Yves Jeanrenaud 0 Kommentare
Lesedauer: 4 Minuten

Wir haben nicht oft, auch nicht auf dem Independent Game Festival (IGF) in San Francisco, mit Spielen aus Fernost zu tun. Sunset Visitor hat mit 1000xRESIST ein Sci-Fi-Abenteuer präsentiert, dass für Windows via Steam und Nintendo Switch verfügbar ist. Wir haben es uns angesehen.

Worum geht es in 1000xRESIST?

Man sieht 1000xRESIST das dystopische und gleichzeitig faszinierend Schöne an, dass Remy Siu nach eigener Aussage aus den Point-and-Click Adventures and JRPG in der Kindheit zog. Nun ist das Game mit Einflüssen aus Filmen wie Millenium Actress (Satoshi Kon) und In The Mood For Love (Wong Kar-wai) sowie Spielen wie NieR: Automata, 13 Sentinels: Aegis Rim und SIGNALIS nach drei Jahren Entwicklungszeit veröffentlicht worden. 1000xRESIST enthält über zehn Stunden erzählerische Spielzeit und mehr als 15’000 Dialogzeilen.

 

In 1000xRESIST finden wir uns in der Figur des Watchers wieder. Der narrative Science-Fiction-Thriller spielt in einer unbekannt entfernten Zukunft, in der eine Alien-Invasion und die damit verbreitete Krankheit uns in den Untergrund trieb. Als Wächterin erfüllen wir pflichtbewusst unsere Aufgabe im Dienst der ALLMOTHER, bis wir eines Tages auf ein schockierendes Geheimnis stossen, das alles verändert. Die mysteriösen Ausserirdischen sind riesig, aber nicht feindlich gesinnt. Dennoch spielt das keine Rolle. Ihre Ankunft war ein Todesurteil. Die Menschheit wurde innerhalb weniger Monate ausgelöscht, weil sie einer Krankheit erliegt, die die Aliens auf unseren Planeten gebracht haben.

 

Ein junges Mädchen namens Iris ist die einzige Überlebende. Irgendwie ist sie nicht nur immun, sondern wird auch unsterblich. Tausend Jahre später hat Iris eine neue Gesellschaft ins Leben gerufen, die ausschliesslich aus ihren eigenen Klonen besteht. Sie nennt sie Sisters. Alle nennen sie die ALLMOTHER. Sie leben sicher im Orchard, dem Obstgarten, einem unterirdischen Bunker, während Iris Krieg gegen die Besatzer führt.

 

Aber nicht alles ist gut. Die engste Schwester der Protagonistin, Fixer, kommt mit einer gefährlichen Enthüllung zu uns. Wir wurden belogen. Die ALLMOTHER ist nicht das, was sie vorgibt zu sein. Nachdem Fixer wegen Verrats hingerichtet wurde, liegt es nun also an uns, die Wahrheit herauszufinden.

 

Dazu spielen wir Watcher in der 3rd-Person-Perspektive durch eine nicht sehr volle, atmosphärisch aber dichte Welt und springen in der Zeit, um Rätsel und Puzzle zu lösen, die uns weiter bringen auf der Suche nach den Schlüsselmomenten im Leben der ALLMOTHER, von der Schulzeit und der Ankunft der Besatzer bis hin zur Gründung des Obstgartens im Untergrund und der Geburt der ersten Schwestern.


1000xRESIST für Nintendo Switch
1000xRESIST für Nintendo Switch. Screenshot: PocketPC.ch / Jeanrenaud

Testeindruck

Womit 1000xRESIST zunächst aufwartet, ist eine interessante Art und Weise, eine Geschichte zu erzählen. Das Spiel wartet mit Perspektivwechsel im wörtlichen und übertragenen Sinne auf, während man zwischen 3rd-Person-Adventure, visuellem Roman und First-Person-Simulation wechselt und an jeder Ecke eine ungewöhnliche Wendung und Enthüllung wartet, die alles in Frage stellen, was man zu wissen glaubte. 

Wir sehen die Welt überwiegend durch die Augen von Watcher, einem der fünf Klone, die aus der ALLMOTHER geschaffen wurden. Im Intro treffen Watcher, als sie gerade ein Messer in die Brust der ALLMOTHER stösst. Sie hat unerklärlicherweise ihre Göttin, ihre Sonne, ihren Lebensgrund, getötet. Das Spiel erzählt nun, wie es dazu kam.

 

Diese Geschichte verfolgt die Nachwirkungen der Umbrella-Revolution in Hongkong 2014. Während man versuchen könnten, 1000xRESIST als einfache Erkundung zu verstehen, umfasst es weit mehr als das. Die Struktur und das zentrale Konzept – die herausfordernde Reise einer Figur, die die Wahrheit aufdeckt – sind zwar nicht besonders einzigartig, aber was das Game indes auszeichnet und eben doch einzigartig macht, ist die Tatsache, dass es entschieden nicht für ein weisses Publikum gemacht ist. Es fühlt sich stets ungewohnt an und viele Verweise, viele narrative Mittel sind uns so unvertraut, dass sie lange haften bleiben.

Graphik und Sound

Das Spiel ist in einer sehr aufgeräumten, eher leeren 3D-Umgebung gehalten, deren Graphik an die zitierten Inspirationen von Filmen und Games erinnert. Die Figuren sind sorgfältig und detailliert gestaltet und könnten diversen zeitgenössischen Anime entsprungen sein. Das sieht auf den ersten Blick auch einfach cool aus, muss man aber zu lesen lernen.

 

Während 1000xRESIST auf der graphischen Seite also sich recht gut aufstellt für einen Indie-Titel, ist, für ein Narrative Adventure typisch, die Stimmausgabe zentral auf der Audio-Seite. Mehr als 10 Stunden Audioaufnahmen auf Englisch (und Chinesisch) vertonen die  über 15’000 Zeilen Dialoge durch einen asiatisch-kanadischer Cast und tragen massgeblich zur Immersion des Spiels bei. Hinzu kommt eine stimmige Hintergrundmusik und passende Soundeffekte, bis hin zum klappern der Schuhe auf den Schulkorridoren vor tausend Jahren.

Gameplay und Steuerung

Während die Steuerung sich auf wenige Tasten und Aktionen beschränkt, überrascht sie auch nicht und kann so kaum überfordern. Stets wird uns angezeigt, welche Taste die nächste Aktion auslöst. Während die beiden Analog-Sticks der Nintendo Switch uns die Figur bewegen beziehungsweise den Kamerablickwinkel verändern lassen, drückt man meist die A-Taste, um in den Dialogen weiter zu kommen oder Dinge genauer zu betrachten, zu lesen oder die über uns schwebende KI zu historischen Informationen zu befragen. Mit den Schultertasten springen wir durch die Zeit und in manchen Episoden hangeln wir uns an Kontrollpunkten im Raum entlang, um Aufgaben oder Rätsel zu lösen. Zeit spielt keine Rolle und wir haben immer genügend Freiraum, alle Möglichkeiten und Optionen zu erkunden.

 

Zu Beginn schafft die Highschool-Kulisse, voller Angst und roher Teenagergefühle, die Grundlage für die grössere Geschichte. Es ist einfach, aber äusserst effektiv. Iris, die zukünftige ALLMOTHER, ist nicht nur unsympathisch; sie ist geradezu grausam. Es gibt eine gewisse Schadenfreude, wenn Watcher dies aus erster Hand erfährt – ein langsames, erschreckendes Erwachen, das etwas oder jemanden, den man für unfehlbar hielt, in einem neuen, düsteren Licht erscheinen lässt.

 

So zeichnet 1000xRESIST in der Story dann viele kleine Effekte von Anpassung und innerer Zerrissenheit, von Immigration und letztlicher Assimilation, auf. Es gibt eine ständige innere Spannung zu Leistung, Normalität und Akzeptanz, denn ein Scheitern kann die Ausstossung aus der Gruppe bedeuten. Wir sehen diesen Kampf zuerst bei Jiao, deren einzige Freundin in der Highschool eben Iris war, die spätere ALLMOTHER. 

 

So geht es denn auch weiter durch unterschiedliche Zeiten und Schauplätze. Die Botschaft des Spiels entzieht sich dabei jedoch zumeist einfachen Analogien. Es ist nicht leicht verdaulich und schon gar nicht für westliche Augen. Watcher vermeidet manchmal die Realität, was der Erzählung nochmal weitere Schichten verleiht. Sunset Visitor untersucht mit 1000xRESIST so nicht nur das Trauma des demokratischen Aufstands in Hongkong und erzählt eine notwendigerweise chaotische Geschichte über dessen Vermächtnis. Es ist auch mitunter ermüdend kryptisch, etwa mit den Aliens zu kommunizieren, deren Dialoge sich in Metaphern erschöpfen.

Screenshots: PocketPC.ch / Jeanrenaud

Preis und Fazit

1000xRESIST gibt es auf Steam für 17,55 Euro bzw. SFr. und derzeit auch 17,99 Euro bzw. 19.79 SFr. im Nintendo eShop zu kaufen. Die dystopische Sci-Fi-Erzählung kommt mit einer Altersempfehlung ab 16 Jahren nach USK und PEGI daher und kann nur auf Englisch oder Chinesisch gespielt werden.

 

1000xRESIST
Preis: 19,5 €

 

Sunset Visitors Sci-Fi Abenteuer 1000xRESIST fängt ein komplexes Chaos bei der Verarbeitung des Umbrella-Aufstands so meisterhaft ein, dass das Spiel fast soziopathisch erschöpfende Zyklen und Wiederholungen nachbildet. Manchmal driftet es in übermässig selbstbezogene Bereiche ab – verständlich, da das Hauptthema Klone betrifft, die mit der Last ihres Daseins kämpfen. Auch kann 1000xRESIST durchaus erschöpfend wirken und man legt es lieber zur Seite. Dennoch ist es ein bemerkenswertes Werk, das diasporische Traumata in all ihrer rohen Intensität so kühn in den Vordergrund stellt.

 

1000xRESIST ist kein einfaches Spiel. Das liegt nicht an der, zugegebenermassen, geringen Komplexität der Rätsel oder Aufgaben im Game. Es ist vielmehr die Auseinandersetzung mit der erzählten Geschichte, die schwierig ist. Katharsis stellt sich nach dem Ende ein, ganz anders als bei anderen Spielen. Man ist vielmehr froh, nicht mehr für Watcher die Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für deren Konsequenzen übernehmen zu müssen, als dass man befriedigt wäre, das Spiel gemeistert zu haben. Das ist ungewöhnlich und auch nicht leicht verdaulich.

 

Wer aber eine Spielerfahrung sucht, die sich nicht in den immer wiederkehrenden Topoi der westlichen, us-amerikanisch geprägten Erfolgsrezepte erschöpft, die wir seit Jahrzehnten kennen, sondern irgendwie auch für ein anderes Publikum geschrieben wurde, bekommt mit 1000xRESIST gute zehn Stunden Gameplay und Dialoge, die toll eingesprochen und vielschichtig sind.

Video: Fellow Traveller

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