Review: Harmony – The Fall of Reverie für Nintendo Switch

Don’t Nod aus dem schönen Paris hat sich auf die Fahne geschrieben, nicht Dasselbe zu machen wie alle anderen. So ist auch Harmony: The Fall of Reverie ein ungewöhnliches Spiel zwischen Abenteuer und Interactive Graphic Novel. Übrigens: Don’t Nod, die hier Developer und Publisher zugleich sind, kennt man vielleicht noch von Life is Strange. Wir haben das narrative Adventure ausprobiert, das Anfang des Monats für die Nintendo Switch veröffentlicht wurde.
Inhaltsverzeichnis
Worum geht es in Harmony: The Fall of Reverie?
In Harmony spielen wir die junge Frau namens Polly. Sie kehrt an die Orte ihrer Kindheit zurück und sucht ihre verschollene Mutter. Dabei entdeckt Polly, dass sie die Gabe der Hellsicht besitzt, die sie mit einer anderen Welt namens Reverie, verbindet. Dort ist sie als Harmony bekannt und interagiert mit göttlichen Wesen, Aspirationen oder Bestrebungen genannt: Seligkeit, Macht, Ruhm, Bindung und Wahrheit.
Auf einem Spielbrett namens Mantik, einer Art Wahrsage-Wegeplan, treffen wir Entscheidungen, die Auswirkungen auf beide Welten, Reverie und der realen Welt, in der wir leben. Dabei steht viel auf dem Spiel: Nicht weniger als das Schicksal der Menschheit! Doch das alles geschieht ohne Zeitdruck. Wir müssen uns jeweils entscheiden, doch wir haben immer die Möglichkeit, abzuwägen und manchmal auch in der Zeit wieder zurückzugehen. Gut, dass wir als Polly und als Harmony auch in die Zukunft sehen können und so die Konsequenzen unserer Entscheidungen vorwegnehmen.

Testeindruck zu Harmony: The Fall of Reverie
Das Spiel nimmt uns mit kurzen Filmsequenzen, die ebenso wie die Dialoge im eigentlichen Spiel selbst auch in der deutschen Version mit englischer Sprachausgabe daher kommen, direkt mit in einen noch sehr diffusen und unklaren Konflikt zwischen Polly und ihrer Mutter Ursula. Nach und nach entdecken wir vor dem Bildschirm ebenso wie die Protagonistin verschiedene Aspekte der Geschichte von Europa in einer nicht all zu fernen Zukunft und der Hintergrundstory, wobei wir mehr und mehr in diese mystische, undurchsichtige Welt von Reverie gesogen werden, die mal mehr und mal weniger dazu beiträgt, dass wir klar sehen können.
Sound und Graphik
Die Hintergrundmusik und die Effekte der Menüeingaben und Dialoge in Harmony: The Fall of Reverie sind wahnsinnig gut gelungen und stimmig. Ebenso sind die Sprachausgaben in den Dialogen, die immer in einem schönen, verständlichen Englisch daher kommen auch wenn die Texte auf Französisch oder Deutsch eingestellt werden, richtig gut eingesprochen und mit viel Gefühl für die Schauspielkunst, die das erfordert.
Die Graphik von Harmony indes ist atemberaubend schön. In stimmungsvoll und detailliert gestalteten dreidimensionalen Räumen und Ansichten treffen wir auf die sechs Aspirationen und andere, menschliche Charaktere, die jeweils im Comic-Stil daher kommen. Sie haben manchmal sich etwas oft wiederholende Posen, doch das stört nicht weiter. Die Dialoge reissen das gut raus.
Die Mantik hingegen das Brett, auf dem wir unsere Entscheidungen treffen, ist etwas liebloser oder sagen wir vielleicht besser: etwas unkreativer gestaltet. Es ist ein einfaches Diagramm mit Punkten und Verbindungslinien, zunächst noch sehr unklaren Symbolen vor einem Weltraum-Hintergrund mit feinen Kreisen. Das erinnert vielleicht etwas an Astrologie, ist aber insgesamt ein zu starker Kontrast zu den detaillierten und vielfältigen Dialog-Hintergründen und Cutscenes.
Screenshots: PocketPC.ch / Jeanrenaud / Don’t Nod
Gut hingegen sind hier wiederum die Kapitelzusammenfassungen und der Rückblick gelöst, denn jeder bereits abgeschlossene Punkt kann erneut geöffnet werden, um den Dialog als Text nochmals zu sehen.
So vermag auch die Optik insgesamt sehr zu überzeugen. Die Texte sind sehr sorgfältig übersetzt und passen gut. Ganz selten mal ist eine fehlende Übersetzung zu finden an Stellen, die zu leicht mal im Qualitätsmanagement übersehen werden. Das kann aber bekanntlich leicht wieder per Update ausgebügelt werden.
Gameplay und Steuerung
Die Spielmechanik ist relativ simpel in Harmony: The Fall of Reverie. Wir klicken uns von Dialog zu Dialog. Wir treffen Entscheidungen auf dem Mantik-Brett oder im Austausch mit anderen Charakteren. Dazu können entweder die Gamepad-Tasten genutzt werden, wobei die Belegung der Buttons nicht verändert werden kann aber verhältnismässig intuitiv gestaltet ist. Oder aber wir nutzen den Touchscreen der hybriden Nintendo Switch Konsole. Endlich wieder ein Spiel, das von dieser Funktion auch sinnvoll Nutzen macht!
Kein Weg auf der Mantik führt ganz zurück
Dass man hier sehr unterschiedliche Wege beschreiten kann, wird im Spiel aber erst im weiteren Verlauf klar. Und ein Zurück gibt es nur sehr bedingt: Sobald eines der unterschiedlich langen und ganz verschieden komplexen Kapitel abgeschlossen ist, kann es nicht mehr neu gestartet werden. Es ist dann zur Geschichte geworden und man müsste das ganze Spiel von neuem Beginnen, um die eigenen Entscheidungen rückgängig zu machen.
Das setzt zumindest mich manchmal etwas unter Druck. Was, wenn man nicht Macht sondern Seligkeit gefolgt wäre? Was, wenn sich Poly bzw. Harmony anders entschieden hätte. So hat die Graphic Novel, die gut zehn Stunden Spielzeit mitbringt, unzählige unterschiedlich nuancierte Geschichten parat und bietet natürlich auch ganz unterschiedliche Ausgänge.
Die Charaktere im Spiel sind alle nicht ganz so trivial und flach, wie sie manchmal scheinen mögen und machen es nicht alle gleich einfach, sich mit ihnen anzufreunden. Also nicht als Polly, sondern als Mensch vor dem Screen. Dennoch fällt es erstaunlich leicht, sich von der Story, die eine Melancholie wie Old Man’s Journey ausstrahlt, fesseln zu lassen und weiter zu forschen. Was verbirgt sich wohl hinter der nächsten Entscheidung? Wie geht es weiter mit Nora, mit den Aspirationen, und allem anderen?
Der Kodex
Hier hilft jedoch auch der eingebaute Kodex. Eine Art Nachschlagewerk über die Welten, Charaktere und Hintergründe, die wir schon kennengelernt haben oder die erwähnt wurden. Das trägt sehr dazu bei, die Geschichte noch immersiver zu gestalten und hilft beim Verstehen.
Kristalle sammeln für Sieben Enden
Die sechs menschlichen Bestrebungen, die wie im Geheimen das Schicksal der Welt beeinflussen, stehen auch für sechs unterschiedliche Ausgänge des Spiels. Dazu sammeln wir durch Entscheidungen entsprechend Energie in Form von Kristallen ein, die zu einer oder mehrerer der Aspirationen passen. Je mehr wir davon haben, desto näher sind wir dieser Entität und somit dem Ausgang der Story nach deren Geschmack. Ein weiteres, geheimes Ende kommt noch dazu.
In Harmony: The Fall of Reverie ist jedoch, wie im echten Leben, nichts so einfach, wie es scheint und oft führt ein Weg trotz aller Hellsichtigkeit und Planung doch nicht dahin, wo man dachte. Ebenso häufig muss man sich zwischen zwei suboptimalen Optionen entscheiden und ab und zu Kristalle der einen Farbe in eine andere Tauschen, um weiter zu kommen, wie man sich das vorstellte, nur um dann festzustellen, dass das auch nicht wirklich genau das Wahre wahr.
So gesehen ist Harmony: The Fall of Reverie ein druchaus gelungener Seitenhieb auf die Nichtlinearität unseres Daseins und die Probleme, wenn man nur eine Sichtweise betrachtet.
Preis und Fazit
Harmony: The Fall of Reverie gibt es für die Nintendo Switch im Nintendo eStore für 31.24 SFr. bzw. 24,99 Euro. Die Interactive Graphic Novel des französischen Studios Don’t Nod kommt mit einer Altersempfehlung nach PEGI und USK ab 16 Jahren und ist zudem auch für PC via Steam, Sony PlayStation 5 und Microsoft Xbox Series X|S verfügbar. Das narrative Abenteuer kommt in den Sprachen Englisch, Spanisch, Französisch und Deutsch daher.
Insgesamt ist Harmony: The Fall of Reverie eine komplexe, tiefgründige Geschichte, die es auf der Nintendo Switch mit wunderschönen und detaillierten Graphiken und einer tollen, britisch-englischen Sprachausgabe zu entdecken gilt. Der Preis dafür mag etwas hoch erscheinen, doch bedenkt man, dass Don’t Nod hier alles selbst in die Hand genommen hat, von der Entwicklung bis zum Vertrieb, ist der Aufwand umso beeindruckender und der Preis durchaus gerechtfertigt. Ansonsten gilt: Warten auf die digitale Resterampe kann sich durchaus auch lohnen, also: Whishlisten!
Zudem ist die Story, die in einer verblüffend einfachen Spielmechanik eingebettet ist, an sehr vielen Stellen so überraschend und durch mehrere unterschiedliche Enden auch sehr gut mehrfach durchspielbar. Harmony: The Fall of Reverie ist fast so etwas wie ein Geheimtipp für alle, die Erzählungen, Graphic Novels und nachdenkliche Settings mit tiefgründigen Charakteren und komplizierten Beziehungsgeflechten mögen.
Video: Don’t Nod
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.