Review: Jolla C2 Community Phone Sailfish OS Smartphone im Test

Sailfish OS des finnischen Unternehmens Jolla war vor elf Jahren auf dem MWC in Barcelona eine kleine Sensation. Das auf Linux basierte Smartphone OS kommt ohne Google aus, kann aber dank Alien Dalvik viele Android-Apps benutzen. Wir haben uns darum das neue Jolla C2 Community Phone als Referenzgerät für Sailfish OS genauer angeschaut.
Inhaltsverzeichnis
Lieferumfang des Jolla C2 Community Phones
Im Karton selbst ist nicht sehr viel enthalten. Neben einem SIM-Kartenslot-Öffnungswerkzeug und einem Faltblatt mit Garantieinformationen ist nur das C2 von Jolla enthalten. Eine optional erhältliche Erweiterung des Lieferumfangs bringt ein Silikon-Case sowie einen Panzerglas-Displayschutz für das Jolla C2 mit.
Hardware und Eigenschaften
Der türkische Hersteller Reeder stellt die Hardware für das Jolla C2, die zusammen mit dem finnischen Hersteller ausgesucht und angepasst wurde. Es ist das zweite eigene Gerät von Jolla überhaupt seit dem Jolla Phone damals 2013. Daneben ist Sailfish OS ja auf dem niederländischen Fairphone 4 sowie auf den deutschen Volla Phones verfügbar. Auch viele Sony Xperia-Geräte, Smartphones von OnePlus, Xiaomi und Motorola unterstützen die alternative Firmware mit dem Betriebssystem ohne Google und Datensammelwut. Das Fairphone 5 indes, jüngster Spross aus Amsterdam, sowie das alte Fairphone 2 haben noch immer mit Problemen unter Sailfish OS zu kämpfen und sind noch nicht offiziell von der Community unterstützt. Community ist hier das Zauberwort, denn Jolla hat vieles in die Hände von engagierten Menschen gegeben, die das Betriebssystem mit Closed Source UI und propietärem Kernel sowie Alien Dalvik für Android auf unterschiedliche Plattformen portieren. Beim C2 ist das nun wieder anders.
Darum kommen wir zurück zum Jolla C2. Das Gerät, als Community Edition vermarktet, ist nun also das Referenzgerät für die zukünftige Entwicklung von Sailfish OS und AppSupport, der Alien Dalvik, die es jedem Linux-Betriebssystem ermöglicht, Android Apps nativ auszuführen. Dabei handelt es sich um eine richtige Dalvik VM, die API-Calls von Android Apps umsetzt, und keine Emulation. Darum ist auch kaum eine Verzögerung oder Geschwindigkeitseinbusse zu befürchten. Solange sich die Apps an die Android-Standards halten und nicht etwa ihre Fenster und Controlls anders zeichnen, als sie das sollten.

Im Gerät mit 8 GB RAM stecken 128 GB ROM und ein microSD-Kartenslot kann weitere 64 GB an Speicherplatz dazu bringen. Hinter dem 6.52 Zoll IPS-Displaymit 1600 x 720 Pixel als Auflösung und somit einer Bildpunktdichte von gerade mal 269 dpi steckt ein unbenannte SoC mit sechs ARM Cortex-A55 Kernen und zwei ARM Cortex-A75 Kernen, die alle mit maximal 1.612 GHz takten und von einer Mali-G57 GPU begleitet werden. Vermutlich ist der Chipsatz ein Tiger T606 von Unisoc. Das ist weit entfernt von High-End oder aktueller Hardware, wäre das hier ein Android-Smartphone. Der Akku misst 4000 mAh, was auch eher Durchschnitt bis Minimum darstellt heutzutage. Einen Fingerabdruckscanner hat das Gerät nicht. Auch kein Face ID oder andere biometrische Verfahren zur Identifikation.
Bilder: PocketPC.ch / Jeanrenaud
Die Hauptkamera bietet 64 Megapixel an Auflösung auf, die von einer 16 MP Ultraweitwinkeloptik und einer 8 MP Makrokamera begleitet werden. Die Selfie-Kamera bietet ebenfalls 16 MP auf. Darüber hinaus unterstützt das Jolla zwei nano-SIM-Karten gleichzeitig im 4G Netz, kein 5G, und eine microSD-Karte parallel dazu.
Alles nichts Berauschendes, aber das ist bei einem Referenzgerät auch nicht zu erwarten. NFC, GPS, Bluetooth und WLAN sowie die für ein Smartphone üblichen Sensoren sind natürlich verbaut. Qi Wireless Charging sucht man indes vergeblich.
Design-technisch spricht das Jolla C2 auch nichts aussergewöhnliches mehr. War das original Jolla Phone noch mit einer sogenannten Anderen Hälfte (Other Half) erweiterbar und anpassbar gewesen, ist das Jolla C2 sehr Mainstream. Kamera-Notch, Kamerabuckel, klassisches Barren-Design mit USB-C-Anschluss unten Mittig zwischen Lautsprecher und Mikrofonen, Lautstärkewippe und Ein-Aus-Taster rechts im Gehäuserand. Mehr gibt es nicht wirklich zu sehen. Hübsch nur noch die Schrift auf der Rückseite, die mit “Jolla X Reeder” und “C2 Community Edition” hervor hebt, was für ein Handy das hier nun wirklich ist.
Sailfish OS
Wichtiger indes ist beim Jolla C2 natürlich das Betriebssystem. Mit Sailfish OS, das seit 2013 nahezu auf reine Gestensteuerung setzt, sehr viel näher an Linux ist als Android und Sicherheitsmechanismen wie chroot jails und LXC Container bietet. Auch Android Apps laufen simultan zu Sailfish Apps aus dem eigenen Jolla Store und werden durch Linux Container isoliert, so dass sie nicht auf die Daten anderer Apps oder des Systems zugreifen können.
Video: Jolla
Testeindruck zum Jolla C2 Phone
Das Gerät an sich macht einen soliden und hochwertigen Eindruck. Kein Vergleich mehr zum original Jolla Phone. Alles passt und funktioniert, auch wenn der Bildschirm wirklich grobkörnig auflöst. Der Akku kann dabei trotz geringer Grösse im Jolla C2 dafür auch gut fünf bis zehn Tage durchhalten.
Beispielfotos: PocketPC.ch / Jeanrenaud
Die Kamera ist indes nicht der Rede wert. Die App braucht Sekunden (!) bis sie geöffnet ist, die Fotos haben einen deutlichen Weissstich und sind farblos und unschön. Bei schwachem Licht ist zudem schnell mal Artefaktbildung oder das Verwischen von Lichtpunkten zu beklagen. Auch der Fokus ist nur schwer richtig einzustellen. Das macht keinen Spass.
Ansonsten ist das Gerät von Reeder, bei dem wohl dessen S19 Patin gestanden hat, ein solides Smartphone. Die Tasten haben angenehme Druckpunkte, der Lautsprecher klingt ordentlich und auch das Mikrofon taugt für Telefonie und Sprachnachrichten.
Sailfish OS 5
Das Look-and-Feel von Sailfish OS ist auch in der Version 5 immer noch sehr konsistent und blieb den Vorgängerversionen treu.
Auch unter der Haube von Sailfish OS 5 hat sich einiges getan an der Linux-Variante für Smartphones. AppSupport, zuständig für Android Apps unter Linux, ist deutlich stabiler geworden und es gibt nur noch wenige Apps, die wirklich gar nicht funktionieren wollen. Darum ist auch F-Droid direkt downloadbar und viele Apps mit nur einem Tippen installiert. Banking-Apps indes verweigern meist die Funktion, weil sie behaupten, das System wäre rooted und damit potentiell unsicher. As if. Ansonsten laufen viele Dinge und Apps sehr gut und nach ein paar Tagen Eingewöhnung ist man auch in die Bedienung und die Logik der Apps im Launcher und App Switcher von Sailfish drin.
Screenshots: PocketPC.ch / Jeanrenaud
Daneben bietet Sailfish OS 5 ein sogenanntes Firejail Sandboxing für Anwendungen.
Das Sandboxing beschränkt den Zugriff einer Anwendung auf die minimal erforderlichen User-Daten und Systemfunktionen, um den Schaden zu begrenzen, wenn eine Anwendung kompromittiert wäre. Zudem ist das Kern-Betriebssystem ebenfalls im Sandkasten. Alle Kerndienste des Betriebssystems, die kritische Hardwarefunktionen steuern, haben nur Zugriff auf die für die jeweilige Domäne erforderlichen Funktionen, was durch die Verwendung von systemd-Sandboxing erzwungen wird.
VPN ist seit der Version 4 mit an Bord doch nun direkt integriert. Die Unterstützung für gängige VPNs und eine neue Plug-in-API für die Integration von Drittanbietern wird durch eine verbesserte automatische Verbindungsunterstützung und Routenverwaltung unterstützt.
Auch die Verschlüsselung ist auf allen neuen Sailfish-Geräten standardmässig aktiviert. Dies trägt dazu bei, dass Daten sicher sind, unabhängig davon, ob sie auf dem Gerät, auf einer Speicherkarte oder auf einem USB-On-The-Go-Speicher gespeichert werden.
Automatische Backups kann man unter Sailfish OS auf dem Jolla C2 Community Edition nicht nur in die Jolla Cloud erledigen. Alle Daten können automatisch in der Cloud zu einem Dienst des Vertrauens gesichert werden oder auf einem eigenen, privaten Backup-Server landen.
Updates nur noch mit Abo!?
Was jedoch neu dazu gekommen ist und bei wenigen gut an kommt, ist das Abo-Modell für SailfishOS. Für 4,99 Euro bzw. SFr. pro Monat ab dem 13 Monat muss die Lizenz für Sailfish bezahlt werden, beginnend mit dem C2 (ein Jahr Updates sind im Preis enthalten), Xperia 10 IV und Xperia 10 V. Zahlt man das Updte-Abo nicht mehr, wird das Telefon nicht gesperrt, aber es kommen keine Betriebssystem-Updates mehr an. Nur noch Security Patches sind zu erwarten. Warum sich Jolly Boys, die Firma, die Jolla nach der formellen Insolvenz von Jolla im Mai dieses Jahres, um russischen Investoren wie Votron und Rostelecom zu entgehen, dazu entschieden? Weil das Kern-Team wohl sehr klein ist und wenig Ressourcen auf die Entwicklung von Silica und Mer, den Kern-Komponenten von Sailfish OS, verwenden kann. Aber zumindest ist die Zukunft der Lipstick/Silica-Komponenten nicht mehr in der Schwebe, wenn das so finanziert wird von Tech-Fans und Aktivist:innen.
Preis und Fazit
Das Jolla C2 Community Phones gab es für 299 Euro bzw. SFr. vorzubestellen und das Handy ist limitiert auf 1000 Stück. Ab 2025 sollen die nächsten Bestellungen möglich werden.
Insgesamt ist das C2 von Jolla X Reeder kein Smartphone für alle. Es ist primär für Fans und Developer in der Sailfish OS Community gedacht und eher etwas für Tech-Nerds oder Privacy-Fans. Wer eine Alternative zu Google Android und Apple iOS sucht, kann sich das aber durchaus mal genauer ansehen.
“As if”
xD
Was ich aber jetzt nicht raffe: Community edition, aber closed source? Sind nur Kernel und UI closed und den Rest macht die Community? Das Sandboxing klingt interessant, der Investor und Closed source gar nicht.
Lizenzkosten fürs OS? Dann müsste es schon absolut flawless laufen.
Nun, es ist kompliziert. Das Ganze ist Open Source, hat aber closed source Anteile. Damit ist es nach gängigen Interpretationen nicht mehr Open Source.
Die Qt GUI hat closed source Teile, ebenso die Mer Middleware zwischen Linux Kernel und Userspace. Das SDK ist für zig Plattformen verfügbar und auch ein HDK, so dass man Sailfish OS auf neue / alte Smartphones und Tablets portieren kann bzw. soll. Das C2 dient dabei als Referenz, weil darauf die aktuellen Sailfish OS Versionen immer laufen werden und darauf hin entwickelt werden sollen. Der Investor ist raus, ebenso diejenigen aus China, laut Pressemitteilungen. Darum hat man auf das Finanzierungsmodell Abo gesetzt, weil man keine Google-unabhängigen Phones für China und Russland mehr bauen kann/will.
Das Sailfish aussichtsreich ist, finde ich zeigt schon das original Jolla Phone, das bis heute noch Updates bekommt und mitspielt, allerdings natürlich in einer ganz ganz anderen Liga.
Aber flawless ist imho kein OS. Aber Sailfish OS kann man gut auch im täglichen Gebrauch einsetzen. Es läuft und stürzt nicht ab, die apps laufen, der Linux Terminal ist nice zu benutzen, auch wenn es keine bash ist.
Man muss nur wissen, was man sich damit einkauft. Nicht alles Funktioniert wie auf dem iPhone oder einem aktuellen Android Gerät. Gemini wird etwa auch als App nicht funktionieren (ungetestet) und auch andere Pixel-Funktionen laufen nicht, weil sie sich ausserhalb der Android API bewegen (müssen). Wer ein Xperia X, XA2 oder eines der Xperia 10er Serie herumliegen hat, kann gut mal ausprobieren, wie sich Sailfish OS anfühlt.