Mi. 20. November 2024 um 7:03

Mit Pokémon GO haben wir unwissentlich KI trainiert

von Yves Jeanrenaud 0 Kommentare
Lesedauer: 6 Minuten

Niantic, das Unternehmen hinter den äusserst beliebten Augmented-Reality-Mobilegames Pokémon GO und Ingress, gab bekannt, dass es die von Millionen seiner Spieler gesammelten Daten nutzt, um ein KI-Modell zu entwickeln, das in der physischen Welt navigieren kann.

 

In einem Blogbeitrag, der letzte Woche veröffentlicht wurde, erklärt Niantic, dass es an einem Large Geospatial Model arbeitet. Dieser Name, so das Unternehmen, ist eine direkte Anspielung auf Large Language Models (LLMs) wie OpenAIs GPT oder Metas LLAMA, die auf riesigen Mengen an im Internet gesammelten Texten trainiert werden, um natürliche Sprache zu verarbeiten und natürlich wirkende Texte zu erzeugen.

 

Niantic erklärt weiter, dass ein Large Geospatial Model, kurz LGM, dasselbe für die physische Welt leisten soll. Diese Technologie soll es Computern ermöglichen, physische Räume nicht nur wahrzunehmen und zu verstehen, sondern auch auf neue Weise mit ihnen zu interagieren. Dies bildet laut Niantic eine entscheidende Grundlage für AR-Brillen und darüber hinaus für Bereiche wie Robotik, Content-Erstellung und autonome Systeme. Mit dem Übergang von Smartphones zu tragbarer Technologie, die mit der realen Welt verknüpft ist, werde räumliche Intelligenz zu einem zukünftigen Betriebssystem für die Welt. Wir können förmlich den T-1000 durch die Stadt spazieren sehen.


Pokémon GO Kumpel Abenteuer
Pokémon GO. Für viele Spass, für Niantic ernstes Business. Bild: Niantic

Durch das Training eines KI-Modells mit Millionen von geolokalisierten Bildern aus der ganzen Welt soll das Modell in der Lage sein, seine unmittelbare Umgebung vorherzusagen. Dies funktioniert ähnlich wie ein Large Language Model kohärente und überzeugende Sätze generieren kann, indem es statistisch bestimmt, welches Wort wahrscheinlich auf ein anderes folgt.

Was ist ein Large Geospatial Model?

“Large Geospatial Models werden Computern dabei helfen, die physische Welt wahrzunehmen, zu verstehen und in ihr zu navigieren, und dies auf eine Weise, die ebenso fortschrittlich erscheint", erklärte Niantic.

 

Das kann man sich so vor stellen: Die Maschine sieht nur die Rückseite einer Kirche. Auf Google Streetview und Apple Look Around kennen aber nur den Vordereingang, weil das von den meisten Leuten fotografiert wurde und weil nur dort Autos vorbeifahren dürfen. Auf der Rückseite nicht. Daher kann ein lokales KI-Modell nicht sagen, wo wir uns befinden. Aber weltweit auf auf globaler Ebene, hat die LGM unzählige Kirchen gesehen. Tausende von ihnen, die alle von ihren jeweiligen lokalen Modelle an anderen Orten weltweit. Keine Kirche ist wie die andere, aber viele haben gemeinsame Merkmale. Das LGM kann daraus also ableiten, dass wir uns höchstwahrscheinlich hinter einer Kirche befinden und welche das sein dürfte, indem auf dieses verteilte Wissen zurückgegriffen wird.

Lightship Visual Positioning System in Pokémon GO

Das LGM von Niantic basiert auf seinem Lightship Visual Positioning System (VPS), das es Gamern ermöglicht, virtuelle Objekte mit “zentimetergenauer Präzision”, wie Niantic sagt, an physischen Orten in der Welt zu platzieren. So hat Niantic kürzlich eine experimentelle Funktion in Pokémon GO namens Pokémon Playgrounds eingeführt, bei man ein Pokémon an einem bestimmten Ort absetzen kann. Das Pokémon bleibt dort stehen und kann von anderen im Spiel gesehen und damit interagiert werden. Niantic erklärt, dass diese Funktion durch enorme Datenmengen unterstützt wird. Diese zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass die Daten aus der Perspektive von Menschen stammen und so meist von Orten also, die für Autos unzugänglich sind.

Über 10 Millionen Orte weltweit in Pokémon GO und Ingress

Niantic selbst sagt, man habe zehn Millionen gescannte Orte weltweit, von denen über eine Million aktiviert und mit dem VPS-Dienst benutzbar seien. Pro Woche kommt etwa eine weitere Million an Scans hinzu, die jeweils aus Hunderten von einzelnen Bildern bestehen.

 

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Niantics Blog zeigt nun, dass diese Daten aus den Spielen des Unternehmens stammen sowie aus Scaniverse, der App von Niantic für das 3D-Scannen von Objekten und Orten. Auch Peridot, Pikmin Bloom und Monster Hunter Now sollen wohl zur Datensammlung von Niantic beigetragen haben.

Pokémon GO KI-Datensammelwut ohne Rücksicht?

Der KI-Boom der letzten Jahre hat bekanntermassen eine fieberhafte Suche nach umfangreichen Datensätzen ausgelöst, die für das Training generativer KI-Modelle genutzt werden können. Viele Unternehmen haben Texte aus dem Internet, YouTube-Untertitel, YouTube-Videos, Bücher und mehr gesammelt. Oft geschah und geschieht ohne Rücksicht auf die Rechte oder gar Interessen der Menschen, die diese Daten erstellt haben. Auch in diesem Fall hatten die Spieler und Spielerinnen des extrem populären Pokémon GO keine Möglichkeit zu wissen, dass das Spiel, das sie 2016 heruntergeladen haben, eines Tages ein solches KI-Produkt antreiben würde.

 

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Nur fussläufig erreichbare Orte

Es dürfte kaum überraschen, dass Niantic nun versucht, seine Daten im KI-Bereich zu nutzen. Wie das Unternehmen erklärt, gibt es durch Google Street View und verschiedene Unternehmen im Bereich autonomes Fahren bereits umfangreiche Datensätze von Strassen. Doch die Spiele von Niantic haben ein so enormes Datenvolumen produziert, das ausschliesslich Orte umfasst, die nur zu Fuss erreichbar sind.

 

Derzeit gibt das Unternehmen an, dass die Daten auf verschiedene Weise nützlich sein könnten, etwa für andere Augmented-Reality-Produkte. Besonders spannend ist jedoch, wie diese Daten Robotern helfen könnten, sich in der Welt zu orientieren – Roboter, die in der realen Welt Aufgaben übernehmen, von der Lieferung von Essen bis hin zum Tragen automatischer Waffen. Ob alle Pokémon Trainer damit einverstanden sind, dass dies mit ihren Daten gemacht wird?

 

Niantic äusserte sich nicht zu einer Anfrage von 404 Media, ob es Einschränkungen gibt, wer und wie diese Daten nutzen darf.

Was kann man tun?

Ob und wie nun diese Datensammlung rechtlich in Ordnung sein dürfte, steht indes noch zur Diskussion. Die Nutzungsbedingungen von Pokémon GO zumindest schliessen einen kategorischen Verzicht auf Sammelklagen ein und sehen Schiedsverfahren mit dem Unternehmen vor, die aussergerichtlich ablaufen sollen. Wer sich nun also zu unrecht im Nachhinein für KI-Training eingespannt fühlt, braucht wohl eine aussergewöhnlich gewiefte Rechtsvertretung, um dagegen vorgehen zu können.

 

Wer also nicht einverstanden ist, dass die eigenen Bilder und produzierten Informationen aus Niantic-Spielen für das Training von KI-Modellen genutzt wird, hat wohl derzeit nur die Möglichkeit, die Spiele von Niantic zu deinstallieren und einen Löschantrag nach DSGVO zu stellen. Personen in der Schweiz können sich ebenso auf ein Recht auf Vergessenwerden der Datenschutzgesetz (DSG) berufen hierbei.

 

 

Quellen: Niantic (Englisch) via 404media und Garbage Day (Englisch), Niantic

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