Mo. 25. September 2023 um 7:03

ChatGPT: Wird Generative KI eine Nische bleiben, nicht Massenprodukt?

von Yves Jeanrenaud 0 Kommentare
Lesedauer: 4 Minuten

Der grosse Hype um generative KI in den letzten Monaten, die ChatGPT von OpenAI wurde von einer ebenso lauten Klage über die vermeintlichen Gefahren begleitet – man denke nur an den offenen Brief, in dem ein Moratorium für KI-Experimenten gefordert wird. Diese Aufregung birgt die Gefahr, dass wir als Gesellschaft den Blick für unmittelbarere Risiken verlieren – man denke nur an Nachhaltigkeitsdebatte um die Ressourcen, die KI-Anwendungen derzeit verschlingen, und Voreingenommenheit der KI-Modelle. Derzeit behindert diese Diskussion auch unsere Fähigkeit, den wahren Wert dieser Systeme zu erkennen: Nicht als generalistische Chatbots, sondern als eine Klasse von Werkzeugen, die in Nischenbereichen eingesetzt werden können und neuartige Möglichkeiten zum Auffinden und Erforschen hochspezifischer Informationen bieten, schreibt Ken Mugrage im MIT Technology Review.

 

Dies sollte nicht überraschen. Die Nachricht, dass ein gutes Dutzend Unternehmen ChatGPT-Plugins entwickelt haben, zeigt deutlich, wohin die Reise gehen wird. Ein allgemeiner Chatbot, quasi im Werkzustand, wird nicht alles für uns erledigen können, aber wenn man z. B. bei Expedia in der Lage ist, der Kundschaft eine einfache Möglichkeit zu bieten, ihre Reisepläne zu organisieren, wird dies zweifellos einen Vorteil auf einem Markt bedeuten, auf dem genau diese Informationsfindung so wichtig ist.


Comic. Mensch, lange blonde Haare, liegend, vor Laptop. Gedankenblase. Chip mit Leiterbahnen und Beschriftung AI
Androids dreaming electonic dreams….

Ob es sich dabei wirklich um einen “iPhone-Moment” oder eine ernsthafte Bedrohung für die Dominanz von Google als Suchmaschine handelt, ist derzeit noch nicht klar. Auch wenn Microsofts Bing seit der Einführung der eigenen KI-Erweiterung erstaunlich an Fahrt aufgenommen hat.

Datenschätze heben

Während KI-Anwendungen wahrscheinlich zu einer Änderung des Nutzungsverhaltens und der Erwartungen führen werden, wird die erste Verschiebung darin bestehen, dass Unternehmen darauf drängen, auf grossen Sprachmodellen (Large Language Model, kurz LLM) trainierte Tools zum “Lernen” aus ihren eigenen Daten und Diensten einzusetzen. Die Daten, die Expedia und Co. seit Jahrzehnten sammeln, ohne richtig zu wissen wofür, können nun endlich einfacher analysiert und mit Sinn gefüllt werden. Und das kann zu besseren Produkten und Angeboten führen, die über simple Verknüpfungen wie “Menschen, die dies gekauften haben, kauften auch…” hinaus gehen.

 

Und das ist letztlich wohl der Schlüssel, so Ken Mugrage, denn die Bedeutung und der Wert der generativen KI sei heute nicht wirklich eine Frage der gesellschaftlichen oder branchenweiten Transformation. Vielmehr ginge es um die Frage, wie diese Technologie neue Wege der Interaktion mit grossen und unhandlichen Daten- und Informationsmengen eröffnen kann. Den Datenschatz, den viele Unternehmen und Organisationen so sehr hüten, endlich zielführend zu heben also.

ChatGPT Smartphone. Kaspars Grinvalds / Shutterstock.com

OpenAIs Chance und weitere Möglichkeiten für KI-Modelle

OpenAI ist sich dieser Tatsache bewusst und wittert eine riesige Chance für die Kommerzialisierung: Obwohl die Liste der Organisationen, die an der ChatGPT-Plugin-Initiative teilnehmen, klein ist, hat OpenAI eine Warteliste eröffnet, auf der sich Unternehmen anmelden können, um Zugang zu den Plugins zu erhalten. In den kommenden Monaten werden wir zweifellos viele neue Produkte und Schnittstellen sehen, die durch die generativen KI-Systeme von OpenAI unterstützt werden.

 

Obwohl man leicht in die Falle tappen kann, OpenAI als den alleinigen Torwächter dieser Technologie zu sehen und ChatGPT als das generative KI-Tool schlechthin, ist dies glücklicherweise bei Weitem nicht der Fall. Man muss sich nicht auf eine Warteliste setzen lassen oder riesige Geldsummen an Sam Altman überweisen. Stattdessen ist es möglich, LLMs selbst zu hosten.

 

Dies ist etwas, Ken Mugrage bei Thoughtworks mehr und mehr beobachtet. Sei Technologie-Radar hat eine Reihe miteinander verbundener Tools und Praktiken identifiziert, die darauf hindeuten, dass die Zukunft der generativen KI in einer Nische und in einem Spezialgebiet liegt, ganz im Gegensatz zu dem, was viele Medien derzeit uns auch glauben machen wollen.

 

Mugrage glaubt indes nicht, dass viele Unternehmens- und Technologieführer dies bereits erkannt haben. Der Fokus der Branche liegt auf OpenAI, was bedeutet, dass das aufstrebende Ökosystem von Tools, die darüber hinausgehen, Projekte wie etwa GPT-J und GPT Neo und weitere selstgebaute LLM-Ansätze, den die Branche ermöglichen könnte, bisher etwas vernachlässigt worden sind. Das ist schade, so Mugrage, denn diese böten viele Vorteile. Zum Beispiel umgeht ein selbst gehostetes LLM die sehr realen Datenschutzprobleme, die sich aus der Verbindung von Daten mit einem OpenAI-Produkt ergeben können.

Der Datenschutz

Für Unternehmensdaten ein LLM zu nutzen, wäre also genau hier ein kluger Weg offen. Selbst-gehostete KI-Modelle, vor Ort und unter Kontrolle und DSGVO-konform. In Anbetracht der begründeten und berechtigten Bedenken der Industrie und der Öffentlichkeit in Bezug auf Datenschutz und Datenmanagement ist es äusserst vernünftig, vorsichtig zu sein und sich nicht von den Marketingbemühungen der grossen Technologieunternehmen wie OpenAI verführen zu lassen. Zumal der Bestandteil “Open” in dessen Namen leider seit langem nicht mehr zum Unternehmensziel passt und nur noch historische Bewandtnis hat.

Spezifische KI-Modelle

Ein weiterer Trend, den Thoughtworks beobachtet, sind domänenspezifische Sprachmodelle. Obwohl auch diese erst im Entstehen begriffen sind, könnte die Feinabstimmung öffentlich verfügbarer, allgemeiner LLMs auf die spezifischen eigenen Daten eine Grundlage für die Entwicklung unglaublich nützlicher Tools für die Informationsbeschaffung bilden. Diese könnten zum Beispiel für Produktinformationen, Inhalte oder interne Dokumentation verwendet werden. In den kommenden Monaten werden mehr Beispiele dafür erwartet, wie diese Tools eingesetzt werden, um zum Beispiel die Belegschaft im Kundensupport zu unterstützen oder Autoren und Autorinnen zu ermöglichen, freier und produktiver zu experimentieren.

 

Wenn die generative KI bereichsspezifischer wird, stellt sich die Frage, was dies für uns Menschen bedeutet. Ken Mugrage behauptet, dass diese Sicht auf die mittelfristige Zukunft der KI weit weniger bedrohlich und beängstigend ist als viele der heutigen schwarzmalerischen Visionen. Durch eine bessere Überbrückung der Kluft zwischen generativer KI und spezifischeren Nischendatensätzen sollten die Menschen im Laufe der Zeit eine subtil andere Beziehung zu dieser Technologie aufbauen. Sie wird ihren Mythos eines Systems, das angeblich alles weiss, verlieren und stattdessen in unseren jeweiligen Kontext eingebettet werden.

GitHub Copilot

Das ist in der Tat nicht so neu. GitHub Copilot ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie KI von Software-Developer in ganz bestimmten Kontexten zur Lösung von Problemen eingesetzt wird. Obwohl Copilot als “Your AI pair programmer” angepriesen wird, würden wir das, was es tut, nicht als “Pairing” bezeichnen. Es ist viel mehr als ein überladenes, kontextabhängiges Stack Overflow zu beschreiben. Copilot hilft, Fehler im Code schneller zu identifizieren und auszubessern.

 

Oder beim lernen einer neuen Programmiersprache. Das Feature hilft, die Syntax oder die Struktur einer Sprache so zu verstehen, dass sie im Kontext eines vorhandenen Wissens und eigener Erfahrung Sinn ergibt.

KI verschwindet

Ken Mugrage ist der Meinung, dass generative KI-Modelle dann erfolgreich sein werden, wenn wir aufhören, sie zu bemerken, und wenn die Äusserungen darüber, was sie tun könnte, verstummen. Wir sollten sogar bereit sein zu akzeptieren, dass ihr Erfolg recht prosaisch aussehen könnte. Das sollte natürlich keine Rolle spielen. Wenn wir erst einmal erkannt haben, dass die KI nicht alles weiss – und auch nie alles wissen wird – dann wird sie erst richtig nützlich werden.

 

 

Quellen: MIT Technology Review (Englisch), Thoughtworks (Englisch), GitHub (Englisch), GPT-J (Englisch), GPT Neo (Englisch)

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